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Theaterinszenierungen von Jo Fabian
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Das Dali-Projekt
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Freud und Leid
Jo Fabians „Dalí-Projekt“ in Kassel

Eine „Geburtskastanie“ hängt recht martialisch über der Bühne, eine runde, stachelige Kugel. Zum Foltern geeignet, aber auch als Massagekugel brauchbar. Allmählich öffnet sie sich, begleitet von höllischem Licht und sperrigen Klängen, dann plumpst ein Mensch aus ihr zu Boden – und muss leben.
Jo Fabians „Dalí-Projekt“ wurde am Wochenende im Kasseler Schauspielhaus uraufgeführt – eine Verbeugung vor dem katalanischen Bilderfinder, der in zwei Monaten 100 geworden wäre.
Fabian ist 44 und Berliner und hat es wirklich nicht nötig, beim Meister des mystischen Manifests nach Bildern zu suchen. Wie eindringlich sie ihm selbst gelingen, zeigt er seit zehn Jahren beim hannoverschen Tanztheater-Festival. „Whiskey & Flags“, „Fast Feet“, „The Dark Side of Time“ – das ist respektloses und zeitkritisches Musiktheater.
Bilder, aus Traumata geboten, hat Dalí geschaffen. Die Eltern tauften ihn auf den gleichen Namen wie seinen verstorbenen Bruder. Und für den Rest seines Lebens glaubte Salvador Dalí, die Liebe seiner Mutter habe nicht ihm, sondern dem Toten gegolten. Das muss man aber nicht wissen, um Fabians knapp zweistündige langsame Verfertigung der eindringlichen Bilder zu begreifen.
Eigentlich muss man überhaupt nichts verstehen. Sondern nur hören, den melancholischen Musikmix von Philip Glass bis Tom Waits. Und schauen: beispielsweise auf die ins Unbekannte radelnden Todesboten, aus deren Mund jeweils ein „mittelgroßes französisches Weißbrot mit zwei Spiegeleiern auf dem Teller ohne den Teller, zu Pferd beim Versuch der Sodomie mit einem Stück portugiesischen Brotes“ hängt. Dalí hat das Erotikum 1932 gemalt, Fabian das Baguette 2004 in einem bewegenden „Tableau vivant“ als unauffälliges Aperçu zitiert.
Es geht um das Wachsen und Werden von unbewussten Bildern. Um die des Freud-Anhängers Dalí, um die des „Spektralsurrealisten“ Fabian, und wie aus einer Telefonschnur eine Nabelschnur wird. Ständiger Gast bei dem Spektakel ist der Gekreuzigte. Dalís grandiose Perspektive, sich das biblische Golgatha gottgleich von oben zu besehen, schafft Fabian mit Hilfe von transparenten Videoprojektionen hinter einem zum Kreuz geformten Gitter.
Tanzen lässt der Träger des hoch dotierten Deutschen Produzentenpreises für Choreografie natürlich auch: synchron wie die Tiller-Girls und beiläufig, wie es Fabians zwölfköpfiger Compagnie eigen ist. Erst wird die eine, dann die andere Hand gedreht, daraufhin der ganze Körper um die eigene Achse, als sollte ein neuer und dämlicher Modetanz kreiert werden. Ironische Paraphrase auf die Eindringlichkeit von Massenbewegung. Langer, begeisterter und verdienter Applaus.
Alexandra Glanz
HAZ, 5. April 2004

Eigentlich ist das unglaublich dreist.

In der zweiten Hälfte seines DALÌ-Projekts, das am Samstag am Kasseler Staatstheater uraufgeführt wurde, präsentiert Jo Fabian ein Standbild. Doch so erstaunlich das ist: Das Nichtgeschehen fasziniert. Dem Berliner Gesamtkünstler Jo Fabian - er ist Regisseur, Choreograf, Bühnen- und Kostümbildner, Komponist und Videokünstler - gelingt mit seiner Hommáge zum hundertsten Geburtstag von Salvador Dalí (1904-1989) eine Gratwanderung an der Grenze zur gähnenden Langeweile. (...)
So wie sich Dalí für seine Werke mitunter bei Rubens oder Vermeer bedient hat, zitiert Fabian einzelne Motive aus dem Hunderte von Arbeiten umfassenden Œvre des spanischen Exzentrikers, persifliert sie und setzt sie neu zusammen. Keine für die Bühne bearbeitete Gemäldesammlung zeigt er, sondern tanztheatralische Szenen, die wie lebendig gewordene Bilder Dalís wirken, ohne es zu sein. Albtraumhaft, irrational, wahnsinnig. (...)
Das Ergebnis ist ein beeindruckendes Fest für die Fantasie und Sinne und zieht das Publikum, trotz oder wegen manch scheinbarer Endloschleife, in seinen Bann.
Joachim F. Tornau
Frankfurter Rundschschau, 06.04.2004

Die Zeit ist nicht die Uhr

Jo Fabian erforscht die unendlichen Möglichkeiten, die zwischen eindeutigem Verstehen und totalem Missverstehen liegen. Dabei kommt er mit wenigen Wörtern, Gesten, Gegenständen aus. Jo Fabian stört den direkten Zusammenhng zwischen Gezeigtem und Gemeintem durch eigens erfundene Symbole, (zum Beispiel eine überdimensionale Kastanie oder einen Tischtennisballhagel), deren Bedeutung nicht mal er selber kennt. Er nutzt Dalí als Stichwortgeber für sein mysteriöses Objekttheater, in dem die Objekte lebediger wirken als die Personen. (...) Zuweilen jedoch lässt sich der Regiseur zu merkwürdigen Gewaltfantasien hinreißen. Wenn er mittels Videotechnik Dalís brennende Giraffe in ein ganzens Giraffenrudel verwandelt, kann man das noch als den reinen Schrecken bewundern. Aber wenn Rammstein und Marilyn Manson losgrölen, wenn Fackelträger mit Hakenkreuz-Armbinden auftreten, wenn eine nackte Frau auf Stelzen über die Bühne wankt, an den Brustwarzen lange Seile wie obszöne Pipelines befestigt, dann wirkt das Albtraumhafte ekelhaft trivial. (...) "We all know te time is not the clock!" hat einer von Fabians Clownphilosophen mal gesagt. Doch obwohl wir wissen, dass die Zeit mehr ist als die Uhr und Theater mehr als die Wirklichkeit, kann die Uhr, wenn sie falsch geht, die Zeit durcheinander bringen. Im Grunde weiß der Regisseur das, denn in einer Szene drischt er verzweifelt auf die Uhr ein. Aber sie geht nnicht kaputt.
Evelyn Finger
DIE ZEIT, 06.04.2004, Ausgabe 16/2004)

Im Sog der Bilder
Jo Fabian und sein suggestives Kasseler Dalí-Projekt

Nicht nur für das Bielefelder Stadttheater, auch für den spanischen Surrealisten und Exzentriker Salvador Dalí jährt sich ein Jahrhundert. Zum hundertsten Todestag in diesem Jahr entwirft der Berliner Gesamtkünstler Jo Fabian – Regisseur, Choreograf, Videodesigner sowie Ausstatter und Bühnenbauer – im Auftrag des Hessischen Staatstheaters eine sinnenfrohe Performance, die jetzt als „Dalí-Projekt“ im Kasseler Schauspiel seine Uraufführung erlebte.
Vor einem Jahr, als Fabian an gleicher Stätte Roger Vitracs surrealistisches Schauspiel „Victor oder Die Kinder an der Macht“ inszenierte, war sein polyphones Zaubertheater noch eingebunden in ein Drama. Jetzt ist die Multiästhetik des Ostberliner Vielseitigkeitskünstlers ohne stützendes Textkorsett, der Zuschauer somit ausgeliefert einem labyrinthischen Tanz- und Traumtheater, das die Phantasie zu reizen und voran zu treiben versteht.
Fabians mit zwölf Kasseler Schauspielern erarbeitete konfigurative Umsetzung von Dalís Seelenwelt ist mehr als eine ins Dreidimensionale erweiterte Gemäldesammlung. Ähnlich wie Dalí selbst seine „Vorstellungsbilder weder durch Systeme der logischen Anschauung noch durch rationale Mechanismen erklärbar“ machen wollte, nähert man sich Fabians „Anwendungen des Rauschgiftes Bild“ (Aragon) am besten interesselos und entspannt. Nur so vermag das Nicht-Geschehen die eigene Phantasie zu öffnen.
Die Eingangsszene zeigt eine Geburt aus einer von der Decke schwebenden überdimensionierten Kastanie, eine stachelige Kugel, aus der sich langsam ein Mensch schält. Verloren baumelt er zwischen Himmel und Erde, begleitet von suggestiver Lichtregie und einer Tonspur, die klassische Klänge mit Tom Waits und Rammstein zu einem melancholisch-erregenden Mix verbindet.
Es folgen elf weitere „tableaux vivants“ in irritierend ästhetisierter Schönheit, basierend auf Motiven aus Dalís Bildern. Ort der „Handlung“: ein Raum in spanischem Ambiente, eine Art Innenhof mit romantischen Fensterbögen, im Hintergrund eine in Gitterform strukturierte Projektionswand, auf der Multimediakünstler Fabian die Dalí-Puppen tanzen lässt.
Zeigt der längere erste Teil des zweistündigen Abends noch bewegte Choreografie, friert nach der Pause die letzte, die Abendmahlsszene zu einem Standbild ein. Die Zeit steht still – ein dreister, ästhetisch verwirrender, gleichzeitig unglaublich gehaltvoller Akt; eine ästhetische Selbstreinigung des Betrachters, lässt sich dieser nur drauf ein. Intensiver, dankbar ergriffener Applaus.
Jörg Buddenberg
Neue Westfälische, 16. April 2004

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