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Theaterinszenierungen von Jo Fabian
Jo Fabian Department Theater Archiv
Wendelgard. the first level
Fotos Presse Video
Wenn sie vergehen und wieder auferstehen
Geheimnisvoll und rätselhaft:

Jo Fabians »Wendelgard. the first level«
am Theater Junge Generation in Dresden
von Gabriele Gorgas

Wer bei den Arbeiten von Jo Fabian versucht, sämtliche in die Stück-Textur eingewobenen Rätsel zu entschlüsseln, muss zwangsläufig scheitern. Fabian ist ein Spieler, jongliert mit Worten, Bildern, Zeiten, hat eine Art von Humor, die sonst eher den Briten eigen ist. Sein am Sonnabend am Theater Junge Generation uraufgeführtes Stück nennt er »Wendelgard. the first level«, umreißt einen Aktionsraum, der mit den Nibelungen beginnt und bis ins assoziierte Reich heutiger Spielwütiger führt. Das geschieht in einer kryptischen, kuriosen Sicht auf »Pax Germania«. Darin bleibt sich der in Berlin lebende, ganzheitlich arbeitende Regisseur und Choreograph - von ihm stammen auch Texte, Bühnenbild und Kostüme - stets treu.
Die Studiobühne des TJG hat er in einen vergitterten Überlebensraum verwandelt, und die merkwürdige Gesellschaft, die da im Bunker ohne Ausgang spielerische Kreise zieht, wird »the first level« offensichtlich nicht mehr verlassen. Für sie gibt es keinen Ausweg, keinen Aufstieg, keine Aussichten, nur die stete Wiederkehr auf der ersten Ebene. Eine verlorene, sich selbst genügende Szenerie, in der Geschwader, Gewitter, heraufbeschworene »Schneegestöber« Irritationen hervorbringen, sich drei Damen im Habitus eines Manet-Gemäldes brav mit Sticken, Briefe Schreiben, Telefonieren befassen. Sie folgen gehorsam den Ausführungen ihres Meisters, sind dazu bestimmt, in »Giftschwaden« zu vergehen und wieder aufzuerstehen.
Jo Fabian komponiert, choreografiert dieses Geschehen dissonant mit Bilderrätseln, Textfragmenten, einer eindringlich codierten Bewegungssprache, und es macht Spaß, wie die drei Frauen (Sulamith Bade, Ulrike Sperberg, Annegret Thiemann) sein »Vokabular« sinnlich einprägsam handhaben. Zudem lässt er mit dem nicht minder großartigen Boris Schwiebert einen Typen erscheinen, der als hochgewachsener kreuz-quer-krumm hinkender Zwerg Alberich, bestückt mit deutschen Militaria, für den Fortgang der Geschichte sorgt, Herr wie Knecht des Hortes ist.
Hoppelndes Kaninchen
Wer da immer weiter nach Antworten auf unlösbare Fragen sucht, muss gewiss nicht verzweifeln, kann wie mit dem »Aufzug« selbst dafür sorgen, dass ihm ein Licht aufgehe. Eigenwillige Erkenntnispfade sind von Fabian gelegt, allerdings frei nach der Devise: »Eine Geschichte, die man versteht, ist falsch erzählt.«
Auch in diesem Stück zieht dieser im Hintergund die Fäden, ist der schwarze Mann, welcher bewusst mit Zeichen und Wundern spielt, über die Bühne ein weißes Kaninchen hoppeln, einen Fisch ins Freie zappeln, Tischtennisbälle gleich Geschossen durch den Raum ballern lässt. Harmlos und zufällig ist bei ihm nichts. Sein Spiel wirkt keinesfalls platt, direkt. Es hat eher etwas von der unerträglichen Leichtigkeit des Seins, und so zelebriert er das deutsche Gemüt vom politischen Räsonieren über Funktionieren bis hin zur Melancholie, legt im Musikalischen die Fährte von weihevollen Parsifal-Klängen über Laibach zu den drei Sonnen aus der »Winterreise«.

Jo Fabian: «Wendelgard. The first level»

«Achtung: Theater!» steht auf dem Programmzettel, «Achtung: Laute Musik! Achtung: Lebende Tiere! Achtung: Bühnennebel! Nicht gesundheitsgefährdend!» Auch: «Achtung: Schusswaffengebrauch!»
 
Alles ist richtig. Jo Fabian macht mal wieder Theater, diesmal in Dresden. Laut ist die eingespielte Musik, ohrenbetäubend laut. Unbeeindruckt hoppelt zur Linken ein weißes Kaninchen im Stall – dann und wann dringt von der Rechten so lange Bühnen­nebel in den vergitterten Raum, bis auch die letzte der «Königinnen» (wie Sulamith Bade, Ulrike Sperberg und Annegret Thiemann in den «Anregungen für ein Nachgespräch» genannt werden) zu ersticken scheint.
 
Doch da ist Boris Schwiebert vor. Leichenblass wie der Sänger Bryan Hugh Warner von der Punk-Band Marilyn Manson schlurft er verkrümmt und hinkebeinig über die Bühne des Theaters Junge Generation, tröpfelt zwischendurch Eiswasser auf die drei edlen Damen und holt die Untoten so wiederholt zurück in ein «verbotenes Spiel», dessen Titel sich auf eine schweinsrüsselige Sagengestalt aus dem deutschen Südwesten bezieht. Von der ist zwar an diesem kurzweiligen Abend nichts zu sehen. Dafür kommt Fabian auf seine unverwechselbar selbstironische Art wiederholt auf Alberich zu sprechen, der im «Ring des Nibelungen» sein Unwesen treibt, während aus dem Off das «Dresdner Amen» aus dem «Parsifal» von ­Ri­chard Wagner tönt. Der Grufti, der sich lange hinter einer Hakenkreuzfahne verbirgt, ähnelt allerdings weniger einem Zwerg als jenem Ungeist, der aus der deutschen Geschichte offenbar nicht fortzudenken ist. Lallend lümmelt er sich in einer Ecke und stänkert gegen jene Fremden, die einem immer nur die Plätze wegnehmen. Wohlgemerkt: Parkplätze, obwohl der Neonazi, wie er später gesteht, gar kein Auto besitzt.
 
«Geschichten, die man versteht, sind nur schlecht erzählt», frotzelt Fabian und inszeniert ein Gesamtkunstwerk, das sich dem Zuschauer «ab 16» in seiner ganzen Sinn- und Zeichen­fülle schwer erschließt, einen aber in den 90 Minuten keinen Augenblick aus seinem Assoziationsautomatismus entlässt. 
 
«Entschlüsselt das Bild, erkennt die Aufgabe, findet den Ausgang», heißt es in den Textmaterialien zum Stück, selbst wenn das ein Ding der Unmöglichkeit scheint. Und: «Hackt das System, in dem ihr gefangen seid. Entdeckt das Theater.» Denn das lohnt sich. «Wendelgard» gehört mit zum Unbegreiflichsten, was derzeit auf deutschen Bühnen zu besichtigen ist, und damit zum Fantasievollsten, was sich Fabian jemals einfallen ließ. Suggestiv gespielt von den vier Akteuren, und vor allem von Annegret Thiemann mit filigranstem Feingefühl getanzt, läuft das Stück nie leer. Im Gegenteil. Irgendwann fällt wie versprochen ein Schuss – und dann ist zum Bedauern des Pu­blikums Schluss mit dem Wachsfigurenkabarett. 

Hartmut Regitz / Tanz / Seite 34 / Juni 2010

Deutscher Reigen mit Alberich, Fisch und Gral
„Wendelgard. the first level" - Jo Fabians Spielrunde 
von Andreas Herrmann

Regisseur Jo Fabian braucht unter anderem 4 Schauspieler, 4 Sonnenbrillen, 3 weiße Schirme, 3 Fächer, 3 Strinreifen, als Akteure sind 3 Sekretärinnen/Königinnen, 1 gestreckter Zwerg sowie 1 weißes Kaninchen, ein Fisch und ein Regisseur vorgeschrieben. Dazu andere Zutaten wie 2 Holzkuben an Kette (als Uhr), 1 Geweih, 1 Kuhschädel, 1 Pistole, 1 Schuss. Und den Gral.
So steht es in der „unvollständigen" Requisitenliste, die sich im „Theaterpädagogischen Material" zum jüngsten Streich des eigenwilligen Ostberliner Theatermachers findet, den das Dresdner theater junge generation zur Uraufführung brachte. „Wendelgard. the first level" heißt das Bühnenabenteuer (P 16), welches sich - wie zu erwarten - zu einer mystisch düsteren Performance auswächst, die die 62 Zuschauer (lt. Liste) nach 85 atemlosen Minuten ästhetisch beeindruckt und geistig ratlos in eine dank Differenzerfahrung nun wieder geheilte Heimatumwelt entlässt.
Agierend im Käfig, vollgestellt mit Requisiten aus der großdeutschen Rumpelkammer, in der im Hintergrund Fritz Langs gruseliges „Nibelungenlied" als Video läuft, sich Wagners „Parsival" mit Mansons „Nobody" musikalisch kreuzt, während der eigentliche Soundtrack mit „tanz mit" von Laibach stammt - allerdings rückwärts gespielt. Fischzappeln und Kaninchenhoppeln gehören ebenso zum Handlungsportfolio auf der Bühne wie Giftgasalarm und kollektives Einschlafen. Spielmeister Alberich (großartig morbid: Boris Schwiebert) erweckt seine drei stummen Sekretärinnen/Königinnen (Ulrike Sperberg in Rosa, Sulamith Bade in Gelb und Annegret Thiemann in Rot) immer wieder und bittet zum nächsten, durchaus anmutigen Tänzchen - dazwischen warten Sticken, Lesen, Schreiben und Einschlafen an ihren eigenen Holzsekretären. Das ganze ist als surreales Computerspiel umscrieben - und bietet trotz der sechs Rundennatürlich keinerlei (konstruktiven) Ausweg. Es sei denn, man sieht die Unterbrechungen durch den Regisseur als Stimme aus dem Off und somit das Spiel als solches.
Das Werk, kurz vor der Uraufführung wegen Krankheit umbesetzt, ist in dieser Spielzeit leider nur noch am 27. und 29. Juni zu sehen, erfährt aber eine garantierte Wiederaufnahme in der nächsten. Im Wortlaut der Theaterpädagogin sei davor gewarnt: „Der stark assoziative Charakter der Inszenierung entziehe sich jedem direkten Interpretationsansatz, daher gelte es, mit eigenen Augen zu sehen und per eigenem Denken die Mitautorenschaft zu übernehmen." Also: Unbedingt angucken, sieht man derart garantiert nie wieder!

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