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Theaterinszenierungen von Jo Fabian
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Auf Wiedersehen Deutschland
Jo Fabians Abschiedsinszenierung »Tenyearsafter« im Hebbel-Theater

Eine Theater-Ära geht zu Ende: Nach zehn Jahren im Hebbel-Theater verabschiedet sich Jo Fabian an diesem Wochenende mit seiner letzten Inszenierung. Der Grund liegt nicht bei ihm – die Intendanz wechselt, Nele Hertling geht, das neue Konzept des Hauses sieht dem Vernehmen nach anders aus. Jo Fabian war froh, in diesen zehn Jahren seiner Kunst eine Bühne, eine feste Adresse geben zu können, wenn auch das Hebbel als Theater ohne eigenes Ensemble in einem extrem schwierigen lokalen Umfeld liegt: Am Rande von Kreuzberg – zu weit, um von der Kreuzberger Szene als Heimspiel angesehen zu werden; auch zu weit weg vom Potsdamer Platz, um als Touristenattraktion zu gelten und zu nah (nämlich direkt neben) der SPD-Parteizentrale, wer will das schon.
So zwischen allen Orten und Stühlen ist auch seine Kunst – insofern passte das schon. Und wer ins Hebbel ging, wollte eben »Tanz. Bewegung. Theater«, wie die Unterzeile des Hauses lautet, da nahm man Wege gern in Kauf und konnte über zehn Jahre die Berliner Arbeit Jo Fabians und auch eine Reihe von Gastspielen seiner auswärtigen Inszenierungen verfolgen. Dies vorweg: Es waren großartige zehn Jahre, und in weniger als zehn weiteren Jahren werden wir uns mit Sehnsucht daran erinnern. Der Intendantin Nele Hertling kann gar nicht genug gedankt werden für die Möglichkeiten, die sie Jo Fabian gab, und für die Kontinuität, Verlässlichkeit, Professionalität der Zusammenarbeit. Nun also der Abschied.
Vor zehn Jahren hatte Jo Fabian – damals noch als junger Wilder geltend, als der Ostregisseur, der am schnellsten im Westen ankam – sein erfolgreichstes Stück auf die Bühne gebracht: »Whisky and Flags«. Zehn Jahre später stand es in der letzten Woche noch einmal auf dem Spielplan – mit den selben Darstellern im selben Bühnenraum. Nur eben zehn Jahre später, zehn Jahre älter – und naturgemäß ein klein bisschen früher außer Atem in den Tanzszenen. Kinder, wie die Zeit vergeht: Auch im Zuschauerraum war man zehn Jahre älter geworden – es waren überwiegend Besucher anwesend, die das Stück vor zehn Jahren schon sahen. Es war ein Wiedersehen, wie mit einem lieb gewonnenen Buch der Kindheit, das nun, mit Altersweisheit und einem guten Glas Rotwein noch einmal gelesen wird: Mit Vorfreude auf die besonders schönen Stellen, mit dem Genuss der reiferen Jahre, durchaus auch mit Wehmut. Frenetischer Beifall an diesem Abend.
Sie tragen einen Luftballon am Hut, reden und tanzen Unsinn, schlagen die Zeit tot – und warten, warten, warten. Denn: »Ganz sicher werden sie bald kommen und uns abholen – und dann fahren wir nach Hause!« Die Losung heißt »Auf Wiedersehen, Deutschland«. Aber so lange, bis sie endlich abgeholt werden (was für merkwürdige Assoziationen kommen an diesem Theaterabend immer wieder bei diesem Wort im Zuschauer auf!); so lange müssen sie eben noch warten, die Zeit totschlagen und vor allem »Punkte sammeln«.
In dieser Woche nun – und leider nur noch diesen Samstag und Sonntag zu sehen – sein neuestes Stück, »Tenyearsafter«, wohl nichts weniger als Jo Fabians Endspiel. Wiederum stehen vier Ossis auf der Bühne, zwei Männer, zwei Frauen – und klar ist: Die Träume sind ausgeträumt, denn aus den Figuren von »Whisky and Flags« sind tumbe Clowns geworden.
Ja, Punkte sammeln – denn die Punkte werden in Geschenke umgewandelt, so ist es versprochen worden. Wissen sie ganz genau, oder glauben zumindest, sich ganz genau daran erinnern zu können. Oder doch nicht? Bilden sich die Clowns das nur ein? Gibt es überhaupt Punkte? Wenn ja, wofür? Worin besteht das Punktesammeln? Ganz unwichtig, offenbar – die reine Beschäftigungstherapie, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen.
Selten, wenn nicht noch nie, sah man von Jo Fabian so klare Aussagen: Die Ossis als die Clowns der Geschichte – verarscht von den einen, aber selbst zu blöd, den Bühnen-Raum – gleichzeitig Wartesaal der Geschichte wie Wartesaal des Bahnhofs und noch vieles mehr – zu verlassen. Denn: Es könnten ja die »angesammelten Punkte« verloren gehen, »und alles war umsonst«. So machen sie denn auch weiter, als kleines Rädchen im Getriebe, bloß nicht die Punkte verlieren, egal ob es sie gibt.
Ob sich Jo Fabian damit identifiziert? Nein, nicht in einem platten Sinne – Fabian ist nicht die neue Stimme aus dem Osten, das Ein-Mann-Komitee-für-Gerechtigkeit, der Bewahrer der Ampelmännchen und des Grünen Pfeils. Ihn interessiert viel mehr: Kann man auf dem Theater Dinge sagen, zeigen, spielen, die in der Politik keine Rolle mehr spielen, weil die einen aus dem Westen sich dafür nicht interessieren, und die anderen aus dem Osten aufgrund internen Gezänks und eigener Unfähigkeit (die Leser dieser Zeitung werden es am besten wissen) nicht in der Lage sind, einen noch so kleinen Beitrag zu leisten.
Die Inszenierung hat ihre stärksten Momente, als der ersehnte Zug endlich kommt. Ein Spielzeug-ICE fährt von links nach rechts über die Bühne, und hält – natürlich nicht. Sie sind wieder nicht gekommen, es geht wieder nicht nach Hause, kein »Auf Wiedersehen Deutschland«. Also dableiben, Punkte sammeln, ja nicht weggehen (die Punkte!!!), warten. Wenig später kommt der Zug in Gegenrichtung von rechts nach links, auch der hält nicht an – wäre auch zu schön gewesen. So leben sie hin. Warum auch weggehen, es ist ja warm, es gibt Stullen, und so schlecht ist es auch nicht. Und vor allem: Wenn man jetzt weggeht – auch wenn der Zug wieder nicht gehalten hat – war alles umsonst, die Punkte verfallen!
Ein nachhaltig verstörender und dringend zu empfehlender Theaterabend. Ein ganz großer Abschied, hoffentlich nicht für immer. Im nächsten halben Jahr, so Fabian, werde er einen Raum, eine neue Adresse suchen, wo die Arbeit weitergehen kann. Und wo wir dann hoffentlich in zehn Jahren wieder »Whisky and Flags« und »Tenyearsafter« sehen werden.

Oliver Schwarzkopf, Neues Deutschland, 17.05.03)
Radiokritik zu TENYEARSAFTER von Oliver Kranz
Inforadio, gesendet am 15.05.2003, 16:55 – 16:58 Uhr 
(2:59, 2,7 MB)
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