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Theaterinszenierungen von Jo Fabian
Jo Fabian Department Theater Archiv
Polka Dot. ein stilleben
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"Polka Dot" von Jo Fabian

Nein, mit Polka-Tanzen hat das hier nichts zu tun. Die Bühne, von der man seine Blicke überhaupt nicht mehr lassen möchte, ist nach dem 3D-Bild “LoveDot” des holländischen Künstlers Rob Steenhorst entstanden: eine biedere Wohnung, in der alles aus einem Muster besteht, nämlich schwarzen Punkten auf weißem Hintergrund.
“Polka Dot” heißt dieses Muster. Erinnert an Dalmatiner, eine Porzellan-Version steht auch auf der Bühne. Matthias Horn, mit Anzug und Melone, versucht erfolglos, den Porzellan-Hund zu einer Regung zu bewegen. Dieser Versuch, ein gekonnter Slapstick, ist der Auftakt eines absurden Reigens, der kunstvoller nicht sein kann. Annegret Thiemann spielt Horns Frau, ihr Kleid ist wie die Bühne gepunktet, so dass sie sich fast nur noch durch Bewegungen abhebt. Beide bluten, Thiemann aus dem Auge, Horn aus dem Kopf. Darin hat er nämlich ein Loch. Und immer wenn er seinen Finger aus dem Loch nimmt, klingelt ein Telefon. Dabei sind sich beide sicher, gar keins zu besitzen. So ist denn auch die Determiniertheit der Figuren, die reflexartig auf ihre Umgebung reagieren, gar nicht mehr klar zu bestimmen. Es ist kein Sinn mehr auszumachen.
Diese an sich traurige Erkenntnis inszeniert Jo Fabian als fulminantes Spiel auf der Grenze zwischen Virtuellem und Realem, schwarzhumorig und böse, urkomisch und hochästhetisch.

Tobias Schwartz, Zitty, 25.05.2008

Im fremdvertrauten Wohnzimmer
Jo Fabian mit "Polka Dot" im Orphtheater
Doris Meierhenrich

Eine blendend saubere Welt ist dieser Tage ins kleine Orphtheater hineingebaut, das mit seinem kaputten Hinterhofambiente sonst eher an Lagerfeuer und Röstkartoffeln erinnert. Nun steht ein Porzellan-Dalmatiner mit schwarzweiß gepunkteter Glanzlasur vor einem edlem Sofa mit gleichem Dalmatinermusterbezug und einem Tischchen mit eben demselben Oberflächendekor, wie überhaupt alles hier zwischen Stehlampe und Nähmaschine mit dem weißschwarzen Punkteraster überzogen ist. Sogar das Kostüm der einschwebenden Hausdame folgt der Textur, als existiere nur ein Gesetz: die Mimikry.

Surreal

Aber wer kopiert hier wen? Ein "Stillleben" nennt der Multikünstler Jo Fabian seine Installation "Polka Dot", die aus einem 3D-Bild des niederländischen Künstlers Rob Steenhorst entstanden ist und nun einen schillernden Raum zwischen größtmöglicher Enge und abstrakter Weite aufspannt. Doch liefert "Polka Dot" nicht, wie der Titel es ankündigt, deftige Tanzerei dazu, sondern unheimliche Starre. Irritiert tasten sich die Frau im Punktekostüm und ihr Mann mit schwarzer Melone durch das fremdvertraute Wohnzimmer, als stolperten sie beide aus einem Magritte-Gemälde ins nächste.

Die beiden Figuren, Annegret Thiemann und Matthias Horn, befinden sich in der surrealen Cyberwelt, wo sie die virtuellen Doppelgänger zweier Menschen spielen, die ihrerseits auf einem kleinen Display an der Wand wie durch ein Fenster aus dem elektronischen Off in das Bühnen-Computer-Innere hineinschauen. Jo Fabian, der Pfau unter den Künstlern, der sich, trotz aller öffentlichen Subventionskürzungen, als Choreograf, Regisseur, Schriftsteller und Installationskünstler seit über zwanzig Jahren auf die Suche macht nach den Wahrnehmungen hinter den konditionierten Wahrnehmungen, nach dem Sinnesapparat unter den Interpretationsschichten, wofür er den Surrealismus neu entdeckt, hat sich mit "Polka Dot" in die schöne, neue Welt des "Second life" begeben.

Den Mythos von "Neuheit" aber dreht er radikal um. In den uniform gestylten Cyberräumen entstehen keine neuen Welten, sondern nur das, was in den Fantasien und Rastern der Menschen und Medien längst festsitzt. "Wir wissen, was wir sind, aber nicht, was wir sein können", heißt es im "Hamlet" und nichts anderes bringt Jo Fabian hier erneut auf den Punkt. Auch die Avatare kommen aus den Grenzen ihrer Schöpferköpfe nicht hinaus. Wie Gefangene schwirren sie durch ihren aseptischen Außeninnenraum und durchkauen immer die gleichen Fragen: Soll er zum Arzt, sie zum Einkaufen? Auch das Zurückspulen ihrer Programme hilft nicht, denn sie landen immer in den gleichen Alltagsschleifen. Dass sie eine gewaltsame Flucht aus dieser Kleingeistwelt schon probiert haben, bezeugen ein Blutfleck auf dem Teppich und eine Wunde am Kopf des Mannes. Schrilles Telefongeklingel legt eine weitere Spur hinaus, doch ein bloßer Fingerdruck gegen die Wunde genügt und der Alarm verstummt.

Schmerzlos

Einfach aus- oder einbrechen kann die Realität hier nicht, sie muss sich schon anmelden und auch dann reicht ein Schläfendruck, sie zu bändigen - nicht mal Kopfschmerzen kostet das. Zwar ist das hübsch ausgedacht, doch bleibt "Polka Dot" damit weit vor jener Schnittstelle zwischen digitaler und realer Wirklichkeit, die es anpeilt. Denn dort müsste auch der Schmerz brennen.

„Polka Dot“

ist ein Stück über den Unterschied von Wirklichkeit und Realität, sowie über Punkte. Und über Menschen, die versuchen, sich ein Bild zu machen. Zwei Figuren nehmen die Stelle von Mann und Frau ein, die Wirklichkeit ist eine Simulation von Welt, die beide nicht verlassen können. Sie holen Worte aus ihrem Mund, kreieren oder benutzen Gegenstände, ohne sie zu berühren. Beide verfügen über eine sprachliche und sinnliche Intelligenz, ein körperliches Gedächtnis und einen seismographischen Instinkt, der sie auf jede Veränderung sofort und bedingungslos reagieren lässt. Und beide können tot sein, wenn sie wollen. Der Raum ist das, was sie Welt nennen, die Zeit das, was sie fühlen. Beim Versuch, die wirklich wichtigen Punkte zu fassen zu kriegen, stricken sie die immer gleichen Gedächtnismuster, tauschen Worte, verhandeln Standpunkte. Zeit wird Geld.

Der Zuschauer wird Zeuge einer Selbstbefragung von Mann und Frau auf ein Echtheitszertifikat ihres Lebens. Dann pegelt Mann die Lautstärke neu ein, spricht mit jenen, die hinter einer der Wände in einem Paralleluniversum zu existieren scheinen. Die Punkte verdoppeln sich, bilden Reihen. Und plötzlich passiert Nichts. Das Drama ist perfekt. Die Sendung von gestern Abend. Das soziale Umfeld wird zur Tapete, Wand nimmt den Platz von Fenster ein. Sie haben die Welt in der sie gefangen sind, selbst gemacht, welch schwacher Trost. Mit welcher Bewegung, Geste, Formel, oder Unterbrechung, kann man sie wieder einreißen, verändern, verbessern, neu erschaffen? Die Quellen liegen offen. Schauspieler stehen im Raum: Künstliche, verletzliche Menschen.

Jo Fabian kehrt zurück. Nach zwei Jahren im virtuellen Exil präsentiert er das erste Theaterprojekt, das Künstler aus der Welt des Second Life in der Wirklichkeit zusammenführt. Seine Figuren buchstabieren sich durch das Bild LoveDot des holländischen Künstlers Rob Steenhorst, das von der eigenartigen Volksmusik des luxemburgischen Musikers Pit Vinandy (Cyberpiper) begleitet wird.

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